Mehr als 230.000 Einwohner und fast 10.500 Kilometer trennen das beschauliche Örtchen Wiechs am Randen in der Gemeinde Tengen und die Metropole São Leopoldo im Süden Brasiliens. Und doch sind sich die beiden Orte täglich sehr, sehr nah: Beide gehören zur STIHL Gruppe und sind als Teil des Fertigungsverbundes unverzichtbar. Egal, wie groß oder klein das jeweilige Werk ist.
Tengen. Ein kleiner Ort, der viel Gemütlichkeit und Ruhe ausstrahlt. Im Osten, Süden und Westen grenzt die Gemeinde an die Schweiz. Der Blick schweift über sanfte Hügel, Wiesen und Wälder. Ist die Sicht perfekt, lässt sich am Horizont sogar der Bodensee erahnen. Tengen ist Luftkurort – ideal, um tief durchzuatmen. Wer hier aufwächst, den zieht es selten weg.
Roland Restle ist in der Region fest verwurzelt. Im STIHL Werk 3, das sich seit 1960 in Wiechs am Randen, einem Ortsteil von Tengen, befindet, hat er nun auch eine berufliche Heimat gefunden. Sein Vater und sein Großvater arbeiteten mit Sägen, daher wurde er zuerst Tischler. Seit 2011 ist er bei STIHL, hat die Sägen, das Holzhandwerk gegen eine Stelle als Anlagenbediener getauscht. Seine Lieblingsstation: der Laserschneider für die Dickichtmesser. „Der Job ist vielseitig und herausfordernd.“ Doch am meisten mag er die kurzen Wege am kleinsten Standort innerhalb der STIHL Gruppe. Ein familiäres Miteinander ist bei 67 Beschäftigten in einem Werk fast selbstverständlich. „Niemand ist hier nur eine Nummer, alles ist sehr persönlich, direkt und meistens unbürokratisch“, erzählt der 36-Jährige und lächelt.
An ihren ersten Tag bei STIHL kann sich Jaiane dos Santos Burkner noch genau erinnern: „Alle haben mich gegrüßt, sogar umarmt. Ich dachte erst, es sei jemand gestorben.“ Doch dann merkte sie, dass es sich um ein morgendliches Teamritual handelt, mit dem alle sich einen guten Start in den Tag wünschen. Jaiane dos Santos Burkners Heimat liegt mehr als 10.000 Kilometer von der von Roland Restle entfernt. Doch ihr Weg zur Arbeit ist ebenfalls kurz – denn inzwischen wohnt sie in unmittelbarer Nähe des STIHL Werks in São Leopoldo, einer Großstadt im Ballungsraum Porto Alegre. Für den Job in der Kunststofffertigung hat sie extra ihre Heimatstadt verlassen. Bereut hat sie das nie: „Aus meiner anfänglich befristeten Stelle sind inzwischen zehn Jahre geworden.“ Mit der Begeisterung für STIHL hat sie bereits ihre beiden Söhne angesteckt – beide wollen später unbedingt bei der Weltfirma mit schwäbischen Wurzeln arbeiten.
Vor 60 Jahren führte eine Herzenssache zur Grundsteinlegung für STIHL in Wiechs am Randen. Zunehmende Arbeitslosigkeit und drohende Landflucht trieben den örtlichen Pfarrer zu einem Gespräch mit Andreas Stihl. Dieser fühlte sich dem Geburtsort seines Vaters sehr verbunden und half. Im Gemeindezentrum entstand mit sechs Mitarbeitern die erste Produktionsstätte außerhalb des Stammsitzes in Waiblingen. Brasilien folgte zwar erst 13 Jahre später, war aber auch eine Premiere. Es war die erste Fertigung von STIHL im Ausland. In der Stadt, die als „Wiege der deutschen Auswanderer“ gilt, wurden anfangs nur rund 500 Maschinen pro Jahr produziert. Heute ist der Standort mit seiner Kompetenz für Magnesium-Druckguss, Kunststoff-, Kurbelwellen- und Schienenfertigung, vor allem aber wegen seiner Zylinderproduktion nicht mehr aus der STIHL Gruppe wegzudenken. Mehr als 90 Prozent des gruppenweiten Bedarfs decken Zylinder, „made in Brazil“.
Ein Umstand, der Gilmar Rodrigues Palagem stolz macht. Hartnäckig hat er Monat für Monat seine Bewerbung am Empfang abgegeben, um endlich selbst Teil dieser Erfolgsgeschichte zu werden. Seit 2004 ist er es. Heute arbeitet er in der Zylinder-Gießerei, hat sich zum Feinmechaniker weitergebildet und absolviert derzeit nebenberuflich ein Studium zum Produktionsmanager: „Mein Ziel ist es, mir viel Wissen anzueignen, um für zukünftige Möglichkeiten im Unternehmen gerüstet zu sein. Ich möchte hier wachsen und mich weiterentwickeln.“ Engagement zahlt sich aus, das weiß auch Felizitas Thiel. Die 46-Jährige hat in den 15 Jahren, in denen sie in Wiechs am Randen arbeitet, schon „fast alle Jobs“ gemacht, berichtet sie. Heute arbeitet die gelernte Druckvorlagenherstellerin in der Qualitätssicherung und ist Betriebsratsvorsitzende. Die Uhren in Wiechs ticken ihrer Erfahrung nach etwas anders als im Rest der Welt. Das mag sie. Und hält viel von ihrem Standort: „Wir haben eine große Entwicklung durchgemacht, immer wieder bewiesen, was wir können und wie wichtig wir für die ganze Gruppe sind.“ Die Fertigung der Alu-Griffrohre mit und ohne Heizung sowie die Produktion von Dickichtmessern sind kleine, feine und wichtige Alleinstellungsmerkmale.
Manchmal sieht Holger Vollmer sich und seine Mannschaft als „Academy“ innerhalb der STIHL Gruppe. „Wir montieren und produzieren an einem Standort. Das ist eine große Herausforderung für uns alle. Wir sind eine Mini-Fabrik“, sagt der Werksleiter und kann dabei nicht verbergen, dass ihn diese Stellung innerhalb des Unternehmens freut. Vollmer ist ein typisches STIHL Eigengewächs, hat verschiedene Bereiche im Stammhaus und im Ausland durchlaufen. Bis ihm 2013 der Posten des Werksleiters in der kleinen Enklave an der Grenze zur Schweiz angeboten wurde. Dort ist er nicht nur Chef, sondern manchmal auch Werkschützer oder Verkäufer von Markenshop-Artikeln. Damals wie heute ist er überzeugt: „Die Lage auf dem Dorf hat nichts mit Kompetenz zu tun.“ Mit mehr als 90 Prozent Maschineneffizienz und Verlustzeiten unter 3,5 Prozent liegt Wiechs weit besser als die geforderten Kennzahlen. Und mit dem eigenen Häckselmesser „haben wir einen asiatischen Wettbewerber rausgekegelt“. Das gibt Motivation für die nächsten Jahre.
Während Vollmer mit vielen Ideen in die Zukunft blickt, schaut Luis Carlos de Souza schon ein wenig zurück. Der 57-Jährige bereitet sich auf seinen Ruhestand vor. Mit gemischten Gefühlen – fühle es sich doch „wie gestern“ an, dass er bei STIHL angefangen habe. In Wahrheit liegen hinter dem Lageristen inzwischen jedoch viele Arbeitsjahre, 35 davon bei STIHL. Damals muss es sich in Brasilien ein wenig so angefühlt haben wie in Wiechs: „Wir waren ein kleines Team, jeder kannte jeden. Es gab nur wenige Gebäude, es fühlte sich wie eine Familie an.“ Inzwischen ist diese Familie und auch seine eigene deutlich gewachsen – drei Kinder hat de Souza. Zwei sind bereits in seine Fußstapfen getreten. Seine große Hoffnung ist, dass auch die jüngste Tochter mal eine echte STIHLerin wird. „Egal, wie groß oder wie klein, STIHL ist sich und seinen Werten stets treu geblieben. Es ist ein Unternehmen von einer Familie für viele andere Familien.“